Interview mit Han Abbing (3)
Autor: Ingolf Rust, Montag, 10. November 2008Dynamics: Als du im Sommer beim VCO mit deiner Arbeit begonnen hast – was hättest du entgegnet, wenn dir jemand prophezeit hätte, dass deine Mannschaft nach sechs Spielen mit ausgeglichenem Punkte-Konto und einem Sieg über den deutschen Meister da steht, und wie schätzt du das Saison-Potenzial deiner Truppe jetzt ein? Ist vielleicht „Mittelfeld plus X“ drin?
Han: Also, dass wir einige Spiele gewinnen würden, das habe ich schon erwartet. Die Bundesliga hat sich natürlich erweitert und jetzt haben wir 14 Mannschaften. Allerdings eben nicht alles Mannschaften auf dem Top-Niveau. Ich habe hier sehr talentierte Spielerinnen, die 12 Monate im Jahr Volleyball spielen und trainieren, und die auch den Sommer über trainieren und besser werden. Ich habe sie ja auch bei der EM in Italien spielen sehen, und da konnte ich für mich schon einschätzen, dass z.B. ein Sieg gegen Chemnitz nicht unmöglich sein würde. Das wir gleich 3:0 gewinnen hätte ich aber nicht erwartet. Danach haben wir uns auch gegen Dresden und Schwerin gut verkauft und dann kam die kleine Sensation gegen Vilsbiburg. Für uns ist so etwas natürlich eine tolle Erfahrung – also das so etwas möglich ist – und die Mädels nehmen das natürlich mit für ihre Zukunft. Andererseits war das Spiel am Samstag schon sehr klar. Suhl gehört zu den besten Bundesliga-Mannschaften, und das war auch richtiges
Bundesliga-Niveau, was da gespielt wurde. Der VfB hat Druck gemacht, und darin auch nicht nachgelassen, so wie Vilsbiburg das tat. In dieser Situation kam natürlich unsere fehlende Erfahrung zum tragen. Mit den zwei „25:20“-Sätzen bin ich nicht unzufrieden, aber ein „zu 9“ darf auch uns nicht passieren. Dafür haben wir einfach zu viel Talent – in solchen Sätzen müssen wir schon 15 Punkte machen. So wurde es eben zu einer Lehrstunde für uns.
Dynamics: Vor dem Spiel gegen den VfB hast du im Interview ja ein wenig tief gestapelt, aber am Ende solltest du Recht behalten – der VfB schien offensichtlich „gewarnt“ gewesen zu sein. Hast du absichtlich den Druck von deinen Spielerinnen genommen und den Fokus auf den Sonntag gelegt?
Han: Ja, wir müssen da schon realistisch sein. Wir haben gesagt, okay – in Suhl ist es schön zu spielen (vor dem Publikum ), und wir hätten natürlich auch gerne einen Satz oder auch mehr in Suhl geholt. Es hätte uns aber auch nichts gebracht, wenn wir uns in Suhl verausgabt und einen Satz geholt hätten und dann gegen Münster platt gewesen wären. So haben wir das Training eben (auf den Doppelspieltag) darauf ausgerichtet, und am Freitag noch mal Krafttraining gemacht. Das spürt man dann am Samstag natürlich noch ein bisschen aber am Sonntag war das weg. Dann haben wir gesagt, Suhl ist noch eine andere Liga und Münster ist eher unsere Kragenweite und dieses Spiel wollten wir dann auch gewinnen. Und das müssen unsere Spielerinnen auch lernen, dass sie solche Partien gewinnen, weil es eben mit unserer Qualität möglich ist. Aus Spielen wie gegen Suhl kann man hingegen eine Menge lernen. Für mich war es da z.B. aufschlussreich zu sehen, was da im zweiten Satz ablief, denn bis dahin lief es bei uns eigentlich ziemlich gut.
Dynamics: Der Überraschungseffekt ist jetzt natürlich weg?
Han: Ja, unterschätzen wird uns jetzt sicherlich niemand mehr. Aber da freuen wir uns auch drüber, weil unsere Gegner dann auch etwas stärker gegen uns spielen. Das macht uns dann auch langfristig gesehen besser.
Dynamics: Vier Jahre Suhl sind schon eine recht lange Zeit – wie sah es vor dem Spiel in dir aus? Schwang etwas Wehmut mit, oder überwog die Freude über das Wiedersehen? Vor dem Spiel gab es bestimmt einige Gespräche und die Mädels haben sich auch sichtlich über den Empfang gefreut, den du bekommen hast.
Han: Vier Jahre würde ich jetzt nicht eine lange Zeit nennen, aber eine Zeit, die durchaus ausreicht. Während meiner Zeit in Suhl war ich ja auch öfter in Berlin und als ich jetzt am Samstag nach Suhl gefahren bin, kommen dann auf der Fahrt die bekannten Orte – die Thüringer Berge tauchen auf, die Tunnel kommen – das war schon schön. Ich war auch ziemlich zeitig vor dem Spiel da, und hab mich wie früher mit Richard in den Physiotherapie-Raum gesetzt und eine Tasse Kaffee getrunken, dann kamen nach und nach die Spielerinnen. Das war schon ein sehr schöner Empfang. Später kamen auch die Fans auf mich zu, und die Physiotherapeutin Susanne Hermann, mit der ich die ersten beiden Jahre gearbeitet habe. Das war sehr angenehm, aber auch ein enger Terminplan
– ich hatte ja schließlich auch noch ein Spiel – aber ich hab es schon genossen.
Dynamics: In Berlin und beim VCO scheinst du dich ja schnell eingelebt zu haben, und selbst der Dress-Code passt ja. (Oranje boven?) 😉 Wie ist das Arbeiten als Bundestrainer? Ist da nur die Saison länger?
Han: Ja, wir spielen in Oranje. Ich weiß nicht, ob sie es speziell für mich gemacht haben, aber das hätten sie nicht tun müssen. Gut, es gibt ein bisschen Heimatgefühl. (lacht) Meine Arbeit als Bundestrainer: Ich empfinde es mehr als Bundesliga-Trainer, denn wir arbeiten hauptsächlich in Berlin an der Vorbereitung für die Bundesliga. Es erinnert mich an die Zeit, als ich mit der Junioren-Nationalmannschaft in Holland gearbeitet habe, da alle doch noch recht jung sind. Aber ich war auch hin und wieder mal in Frankfurt und habe mich auch schon mit Giovanni Guidetti getroffen. Wir haben zum Beispiel darüber gesprochen, wie wir den Sommer gestalten wollen – da hat man dann schon das Gefühl, dass man selber Bundestrainer ist, also wenn man da so die ganzen Länderspiele vorbereitet, und weiß dass dann ein Qualifikationsturnier für die WM kommen wird. Wir hoffen natürlich, dass wir das schaffen. Wir haben aber auch das Vertrauen, dass wir das schaffen können, und dann geht es in dem Fall zur Junioren-WM in Mexiko, was schon was richtig besonderes ist. Je näher diese Aufgaben kommen, desto mehr bekomme ich das Gefühl, dass ich Bundestrainer bin.
Und ja, die Saison ist schon länger – im Frühling geht es dann richtig los mit der Vorbereitung. Die Schlussphase der Bundesliga-Saison stellt für uns die Vorbereitung für die Qualifikation da.
Dynamics: Jetzt wird das aktuelle Team am Saisonende „in die Welt“ hinaus gehen und sich beweisen. Wie siehst du die Chancen deiner Schützlinge und hast du schon ein Auge auf den nächsten Jahrgang geworfen oder ist das Schnee von morgen?
Han: Wir hatten natürlich schon Gespräche darüber, was danach kommt (nach diesem Jahrgang). Die 92/93-er werden wahrscheinlich zuerst zweite Bundesliga spielen, aber das wird von anderen eingeschätzt, weil ich diese Spielerinnen natürlich noch nicht kenne. Die werden dann ihr letztes Jahr aber natürlich auch wieder Bundesliga spielen – aber das ist wirklich Schnee von Morgen
. Was noch ansteht, ist in zwei Wochen die Sichtung des Jahrgangs 93/94, und da werden wir schon mal hinfahren und sehen, was das für Talente sind. Die Zielsetzung soll ja dann schon sein, dass irgendwann in nicht all zu ferner Zukunft (vielleicht in London oder den Olympischen Spielen danach) Deutschland mal wieder eine Medaille gewinnt. Dazu möchte ich natürlich meinen Beitrag leisten.
Dynamics: Neue Saison, neue Teams – können wir von dir vielleicht einen kleinen Experten-Tipp bekommen, wer diese Saison um den Titel spielen wird, und welchen Eindruck hast du von dem „neuen VfB“ bekommen können?
Han: So wie ich das einschätze, wird die Meisterschaft zwischen Dresden und Suhl entschieden, wobei man natürlich Vilsbiburg nicht unterschätzen darf. Sie haben fast die gleiche Mannschaft wie letztes Jahr, und wenn sie wieder dahin zurückfinden, wo sie letztes Jahr standen, dann sind sie natürlich eine schwer zu schlagende Mannschaft. Ich hab jetzt allerdings eine Vilsbiburger Mannschaft gesehen, die davon weit entfernt war. Sie hatten zwar Verletzungen, aber trotzdem darf ihnen so etwas gegen uns eigentlich nicht passieren. Ein Meister darf nicht gegen eine Junioren-Auswahl verlieren, zumal ich ja nicht einmal alle Junioren da habe – einige spielen ja auch in den Vereinen. Diese Punkte sind jedenfalls sehr teuer, und die müssen sie jetzt erst einmal wo anders zurückholen, was unter Umständen nicht so einfach wird.
Betrachtet man in Suhl die aktuelle Mannschaft, so muss man sagen, dass sie dieses Jahr Meister werden können. Schon als ich die Mannschaft verlassen habe, hatte ich das Gefühl ‚Wenn die das zusammen halten und sich eventuell noch verstärken, dann wird das was.‘ Mit Birgit Thumm hat man sicher eine Verstärkung geholt, die wenn sie fit ist wie vor zwei Jahren auch das Zeug hat, im Ausland zu spielen. Alles zusammen ist das Team also schon meisterlich
.
Dynamics: Ok, noch einmal vielen Dank für das Gespräch, und viel Glück für den Rest der Saison.
Han: Gern geschehen, und noch mal schöne Grüße an alle Suhler Fans.
Interview: Ingolf Rust (SC), Bearbeitung: Ingolf Rust und Ralf Hoffmann (BX)
Schlagworte: Han Abbing, Interview, VCO Berlin
11. November 2008 um 0:35 Uhr
Danke für das schöne Interview – dann hoffen wir mal, dass Han mit seiner Meisterprognose recht behält! :LOL:
11. November 2008 um 0:49 Uhr
Das dürfte das schnellste Interview in der Geschichte der Dynamics gewesen sein. 😉
11. November 2008 um 0:51 Uhr
Jop…hab extra „Blackhawks vs. Flames“ aufgezeichnet und werde es mir jetzt zum „Einschlafen“ gönnen.
11. November 2008 um 0:56 Uhr
Soll ich dir das Ergebnis verraten? Das sparrt die Wartezeit bis die Schafe vom
KojotenWolf verspeist werden.11. November 2008 um 0:58 Uhr
Chicago 6-1 Calgary 😎 Weiß er schon. Aber die Schafe evtl. noch nicht…
11. November 2008 um 19:35 Uhr
51 Views und keiner meckert, dass die Links im Carookee und unter Interviews nicht passen.
TODO #13510: Sommerzeit verbieten! 8-|
11. November 2008 um 19:59 Uhr
Sehr feines Interview.
18. September 2009 um 14:01 Uhr
[…] unserem Interview zu Beginn der vergangenen Saison [1] sah er zwar (wie viele andere Experten) auch den VfB unter den Titelkandidaten – neben […]