Suhl 10 Jahre in der Bundesliga
Autor: Joschik, Mittwoch, 9. Oktober 2013Gerhard Berger notierte Erlebnisse, Episoden und Highlights aus der ersten Bundesligasaison 2003/2004 und stellte diese den Dynamics zur Veröffentlichung zu, was hiermit geschieht:
Als am 11. Oktober 2003 der VfB 91 Suhl seine Feuertaufe „1. Bundesliga Frauenvolleyball“ im überfüllten Coubertin Gymnasium der Thüringer Landeshauptstadt unterstützt von einem euphorisierten Tross unüberseh- und unüberhörbarer Suhler Anhänger gegen den Mitaufsteiger TuS Braugold Erfurt erfolgreich startete, konnte damals niemand wissen, dass zehn Jahre später… …aus finanziellen Zwängen eine Kooperation beider Vereine in Zusammenarbeit mit dem Thüringer Volleyball Verband unter den Namen VolleyStars Thüringen entstehen würde.
Während TuS Braugold Erfurt nach einem Jahr in der höchsten Spielklasse dann mit dem neuem Hauptsponsor Stadtwerke Erfurt in der 2. Bundesliga wieder Fuß fasste, konnte der VfB 91 Suhl mit Ausnahme der Spielzeit 2012/13 nahezu ein Jahrzehnt sportliche Erfolge in der 1. Bundesliga präsentieren. So z. B. zum Abschluss der jungfräulichen Phase 2004 bereits Sechster von zwölf Teams, zweimal Dritter der deutschen Meisterschaft in den Jahren 2007 und 2011, DVV- Pokalsieger 2008 bzw. DVV- Pokalendspielfinalist 2010 und 2011 sowie Dritter beim internationalen Wettbewerb des Challenge-Cup 2012.
Im ersten Bundesligajahr gehörten vor allem so einige unvermutet großartige (Heim) Partien dazu. So der Auftakt in der Wolfsgrube am 18. 10. 2003 vor 1.600 Zuschauern gegen den bis dahin schon siebenmaligen Meister und neunmaligen Pokalsieger USC Münster, denn der haushohe Favorit musste unerwartet in den Tiebreak, gewann diesen aber geradeso mit 12:15. Dennoch gab es Standing Ovation für diese außergewöhnliche Leistung der Gastgeberinnen. Und als der USC zur Meisterrunde in der Wolfsgrube sogar eine derbe Abfuhr beziehen musste, waren diesmal 1.600 „Enthemmte“ völlig aus dem Häuschen. Ein paar Jahre später schwankte dann sogar der „Leuchtturm des deutschen Frauenvolleyballs“ wegen monetärer Nöte, fiel aber nicht.
Auch die Spiele gegen den damaligen Deutschen Meister und international tätigen SSV Ulm Aliud Pharma begeisterten immer wieder. Am 31. Oktober 2003 brannte für dieses reizvolle Match in der Wolfsgrube sprichwörtlich die Luft. Und am Ende der nervenaufreibenden 3:2 Partie (25:20, 21:25, 25:23, 26:28, 18:16) glühten den Spielerinnen und 1.800 Anhängern des VfB die Augen, dem Gästetrainer Mathias Eichinger und seiner Mannschaft aber von diesem Spektakel die Ohren. „Das Wunder von Suhl“ titelte damals „Freies Wort“ in seiner Montagsausgabe diese faustdicke Überraschung. Deshalb warnte auch Ulms Trainer dann zum Spiel in der Meisterrunde: „Wer einmal in Suhl war, weiß welch Fan-Hölle ihn erwartet!“ Die 1.600 Enthusiasten sorgten auch gleich zu Beginn mit Laola Wellen oder mit dem „Holzmichl“ für eine beeindruckende Atmosphäre. Dazu außergewöhnlich lange Ballwechsel. Ein Wahnsinnsspiel mit allen Finessen, bei dem Suhl mit 3:1 die Oberhand behielt. „Jubel-Erdbeben in der Wolfsgrube“, hieß dann die Schlagzeile bei „Freies Wort“. Ulm aber versank nach dem Ende der Saison als Dritter wegen Insolvenz vom Sternenhimmel der 1.Liga.
Selbst Bayer 04 Leverkusen sollte noch die Finanzproblematik beim Volleyball kennenlernen. 2003 kamen die Asse aus dem Rheinland nach sieben Spielen und sieben Siegen noch als souveräner Tabellenführer in die Wolfsgrube und mussten mit einem 0:3 enttäuscht wieder nach Hause fahren. Auch in der Meisterrunde hatten die Leverkusenerinnen bis dahin wieder sieben Mal kein Spiel verloren, bis sie erneut beim VfB 91 Suhl antreten mussten. Und die 1.800 Begeisterten sahen ein Duell auf Biegen und Brechen. Die Entscheidung fiel erst im fünften Satz. Nachdem die VfB-Mädels dort zunächst mit 0:6 aussichtslos zurücklagen, erreichten sie beim 12:12 bzw. 14:14 doch noch den Gleichstand. Dann blockten zweimal Magdalena Sadowska zusammen mit Maja Ilic die Gäste zum 16:14 in einen Schockzustand. „So sehen Sieger aus“, schallte es nach Spielschluss im Tollhaus Wolfsgrube. Unvergesslich. Leverkusen hatte die Meisterschaft zwei Spieltage vor der Krönung in Suhl verspielt. Und 2008 verabschiedete sich dann sogar die Volleyballabteilung des Konzerns wegen finanzieller Klemmen aus dem 1.Bundesligageschäft.
Auch der Dresdner SC musste am 8.November 2003 in der Wolfsgrube mit 1:3 die Segel streichen. 1.850 Sympathisanten des VfB 91 Suhl jubelten grenzenlos. „Wir haben in Suhl vor einer Wahnsinnskulisse gespielt, vielleicht wird es bei uns noch lauter“, äußerte sich der damalige Dresdner Coach Arnd Ludwig vor dem mitteldeutschen Derby dann in der Elbmetropole. Dieses Duell reizte sogar den MDR für seine Sendung „Sport im Osten“. Die Zuschauer sahen ein Geschehen, welches ständig auf und ab wogte. Im ersten Durchgang 25:19, im zweiten 25:21 und im dritten war nach einem 21:23 Rückstand dann bei 26:24 endgültig die Sensation gelungen. Dresdens Corina Ssuschke versenkte mit voller Angriffslust den Ball außerhalb des Spielfeldes. Danach herrschte beinahe Schweigen in der Margonarena – mit Ausnahme natürlich bei den Suhler Spielerinnen und ihrem zahlreichen Anhang. Erst in der Meisterrunde trumpften die Sächsinnen in der Wolfsgrube erstmals auf. Und beim Rückspiel in Dresden lagen unsere VfB-Mädels erwartungsgemäß 0:2 nach Sätzen zurück. Nachdem jedoch der 1:2 Anschluss gelungen war, wurde es noch einmal sehr spannend, denn die Gastgeberinnen fanden nun keine Mittel gegen den starken Suhler Block. Der finale Satz musste also die Entscheidung bringen. Und da hatte Natascha Loncar beim 15:13 das glückliche Händchen und Dresden wieder sein „Blaues Wunder“.
Mit Katja Wühler (zur Aufsteigerin des Jahres 2003 gewählt) und Birgit Thumm (bis dato über 70 Einsätze für das DVV-Team) standen zwei außerordentliche Spielerinnen in Vilsbiburgs Reihen. Die Heimbegegnung fand dann zwischen Nervosität auf beiden Seiten und Volleyball vom Feinsten statt. Schmetterbälle, Lupfer, simpelste Fehler, fabelhafte Abwehraktionen, sagenhafte Kracher und auch Kurioses. Z. B ein von „Mila“ (Miloslava Bublova) mit allerletzter Verrenkung abgewehrter Ball, der als retournierende Bogenlampe unerreichbar im äußersten Eck des Spielfeldes der Gäste landete oder eine intuitiv erfolgreiche Faust! (Not-) Abwehr von Alke Nagel und auf diese und ähnliche Art damit schließlich mit 5:0 im dritten Abschnitt in der Erfolgsspur, nachdem es bis dahin nach Sätzen unentschieden stand. Dazu eine bis zum Rand gefüllte Wolfsgrube. Laola Wellen . . . . Endergebnis: 3:1 für Suhl und somit wieder ein Schritt in Richtung der inzwischen anvisierten Meisterrunde. Die anwesende Volleyball-Prominenz (DVV, Hauptsponsor, OB der Stadt Suhl) hatte ein leidenschaftliches Spiel und Magdalena Sadowska neuerdings mit Rasta-Löckchen gesehen.
Auch das Heimspiel gegen Hamburg war mitreißend. Nachdem schon auswärts ein überraschender 3:1 Sieg gelang, empfing das Team im ersten Spiel des Jahres 2004 den TV Fischbek Hamburg. „Wetten dass ?“ lief im Fernsehen. Doch davon ließen sich 1.800 Zuschauer nicht reizen, gingen lieber in die Wolfsgrube und sahen d a s Spiel der Alke Nagel. Und es ging (wieder einmal) sehr eng zu. 27:25 im ersten und 25:21 im zweiten Durchgang. Doch im dritten Abschnitt lag unser VfB mit 1:9 trostlos zurück. Die leidenschaftlichen Forderungen der Fans „Kämpfen, VfB kämpfen“ und das außergewöhnliche Spiel von Alke Nagel, die ja wegen eines vorangegangenen Kreuzbandrisses bis dahin nur Kurzeinsätze hatte, bleiben heute noch in bester Erinnerung, denn die Kapitänin, die während des zweiten Satzes eingewechselt wurde, trug nun maßgeblich zur Veränderung des Spielstandes bei. Egal was sie tat, ihr gelang einfach alles. Das Zwischenergebnis zur zweiten technischen Auszeit lautete – kaum zu glauben – 16:15 für Suhl. Und es blieb bis zum Schluss weiterhin verdammt umkämpft. 23:23 – und (nach dem 1:9 Rückstand) schließlich 25:23. Das hielt doch keiner der Anwesenden für möglich. Ein paar Jahre später aber hatte selbst die Großstadt Hamburg fiskalische (Nordsee) Stürme zu überstehen, fand aber schließlich einen kupfernen Rettungsanker.
Nur die Matches gegen den Schweriner SC liefen nicht so gut. Dazu gehörte auch das letzte Meisterrundenspiel im April 2004. Das hielt die knapp 2.000 Zuschauer jedoch nicht davon ab, sich bei der Mannschaft für eine außergewöhnliche Volleyballsaison mit tosendem Applaus zu bedanken. Und wie bereits zum Rückspiel beim Thüringenderby im Dezember 2003 spielte zum Abschluss der Saison auch da wieder die Band „Rest of Best“ aus Weimar. Dazu noch die Versteigerung von Trikots, Laserschießen und Freibier. Mit blau gefärbten Haaren der Spielerinnen und auch des Trainers wurde der sechste Tabellenplatz zum Abschluss der Spielserie 2003/2004 dann ausgiebig in der Wolfsgrube gefeiert. „Thank you for this great Season“ lautete eine originelle Würdigung auf einem Fan-Plakat.
Vor allem hatten sich die Mädels mit diesen Leistungen auch einen Namen gemacht. „Mila“ mit ihren unglaublichen Libero- (Abwehr) Aktionen war schnell zum everybodys Darling in der Wolfsgrube geworden. Auch in den auswärtigen Hallen rief sie regelmäßig Erstaunen hervor, brachte die gegnerischen Scorer wiederholt zur Verzweiflung. Dazu Natascha Loncar und Maja Ilic, Mittelblockerinnen von Format. Magdalena Sadowska, eine Ballpunktegarantin. Oder auch Jane Hofmann, die konnte – wenn es zum Ende eines Satzes eng wurde – oft noch einen draufsetzen. Oder Anke Nagel und Annamaria Polgar, die ruhigeren Typen (auf dem Spielfeld). Dazu in der Stammformation Svelana Krstic, eine Spielerin mit unvorhersehbaren „Handstreichen“. Trainer Jan Kirchhöfer hatte ein tolles Team geformt.
Und nicht zu vergessen. Es gab ja noch den Rückrundenauftakt mit dem Thüringenderby am 21. Dezember 2003 in der Wolfsgrube. Hierfür mussten sogar zweihundert zusätzliche Sitzplätze an den Stirnseiten des Spielfeldes mit einer dazu extra noch notwendigen Baugenehmigung gegen die am Ende der Tabelle befindlichen Landeshauptstädterinnen durch die Vereinsleitung organisiert werden. Und tatsächlich, fast 2.200 Zuschauer füllten die Wolfsgrube. Besucherrekord, der auch heute noch Bestand hat. Die freudvolle (Weihnachts-) Stimmung in der Wolfsgrube hielt auch nach dem Spiel an. Hierfür ließ der Verein anschließend das Parkett mit Filzbelag auslegen und eröffnete die vorbereitete Party. „Rest of Best“, die schon vor Beginn des Spieles für viel Schwung sorgte, mischte auf. Dazu Freibier von „Köstritzer“. Und außerdem konnten die Fans hautnah mit ihren Lieblingsspielerinnen fachsimpeln. Es war schlichtweg die Zeit des uneingeschränkten Freudenrausches. Wie man nunmehr weiß, war es die letzte Punktspielbegegnung der beiden Konkurrenten in der 1. Bundesliga.
Nun kann man nur hoffen, dass sich für den neuen Verein VolleyStars Thüringen auch ein Hauptsponsor sowie ausreichend weitere Förderer finden. Und wenn die Volleyballinteressenten beider Städte das neue Projekt tatkräftig begleiten und unterstützen, dann könnten aus den ehemaligen Rivalen doch noch Busenfreunde werden.
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